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Amerika, das Land der unbegrenzten Extreme

Ok, ich bin natürlich auch nicht ganz normal wie man weiss,
wie sonst sollte man es erklären dass ich gestern ca. 8 Stunden
fremden Menschen beim Einkaufen zugesehen habe?
Genauer gesagt eben Amerikanerinnen und Amerikanern.
Erst war ich fasziniert und auch ein bisschen neidisch.
Ich möchte zwar nicht, dass wenn ich an der Kasse fertig bin
alle Umstehenden klatschen, genau so wenig möchte ich
dass an der Kasse meine Einkäufe verpackt werden,
aber einen 800 Dollar Einkauf für unter 10 Dollar zu bekommen
würde ich natürlich gerne annehmen.

Ein 800 Dollar Einkauf würde bei mir natürlich fast für ein ganzes Jahr reichen
aber der Amerikaner wäre nicht der Amerikaner wenn er nicht alles
ins Extreme pervertieren würde. Selbst einen Lebensmitteleinkauf.
Es hat ein bisschen gedauert bis ich verstanden habe
wie „Einkaufen“ in Amerika funktionieren kann.

Amerika ist das Mutterland der Coupons die den Werbebeilagen der Zeitungen beiliegen.
Die gezeigten shopper besorgten sich nun hunderte dieser Beilagen,
schnitten die Coupons aus und sortierten sie in einem Ordner
der bis zu 10 Kilo wiegen konnte.
Dann wurden die Sonderangebote der Läden auf die vorhandenen
Coupons gecheckt und eine mehrere Seiten lange Einkaufsliste geschrieben.
Der Einkauf wurde mit einem oder mehreren Helfern generalstabsmässig
durchgeplant, es durfte nichts in den Wagen wo kein Coupon für existiert.
Der Couponsammler der Familie war der Chef – und das war in
einigen Familien der minderjährige Teenie.
Der Ordner muss natürlich mit, just in case es gibt ein Extra Sonderangebot.
Wenn mehrere Einkaufswagen gefüllt waren ging der Tross zur Kasse.
Das dauerte dann fast immer mehrere Stunden, manchmal musste
der Einkauf in bis zu 17 Einzelkäufe unterteilt werden,
damit alle Gutscheine und Rabatte wirksam abgezogen werden konnten.

Ich habe Frauen weinen sehen, weil Gutscheine abgelehnt wurden
und so ihre Berechnungen nicht mehr stimmten, was in deren System
gleichbedeutend war als Mutter und shopperin „versagt“ zu haben.
In der Regel war es aber so dass ein mehrere Hundert Dollar Einkauf
für wenige Dollar oder gar völlig kostenlos zu haben war.
Das kam daher dass es für einige Produkte sogar noch Geld gab
dafür das man sie mitnahm. Klingt merkwürdig, schien aber so zu sein.

Zwei Beispiele:
1. Eine Packung Nudeln kostet 99 cent. Man hat einen 50 cent Gutschein der
vom Laden verdoppelt wird und bekommt pro Packung Nudeln 1 Cent gutgeschrieben.
2. Ein Medikament gegen Kopfschmerzen kostet normal 5,49 Dollar, ist im Angebot für 2,49
man hat einen Gutschein für 5 Dollar und bekommt so pro Packung 2,51 Dollar raus.
Da nimmt der Amerikaner dann gerne mal 20, 49 oder 110 Packungen
je nachdem wieviele Gutscheine man halt gesammelt hat.
Für den gutgeschriebenen Betrag kann man dann Produkte
kaufen für die man keine Coupons hat.

Okay – rechnerisch ist das natürlich smart. Wer würde sich lange wehren
wenn er noch Geld dazu kriegt nur weil er ein Produkt mitnimmt?
Natürlich ist es schon ein bisschen „komisch“ wenn ein 15 jähriger
sich einen 4 Jahresvorrat Binden in den Einkaufswagen packt
oder jemand ohne Baby zuhause 20 Pakete Windeln „kauft“.
Richtig smart wäre es dann später diesen Posten weiterzuverkaufen.
Aber der Amerikaner ist da auch wieder anders.
Die gezeigten Extremshopper hatten ALLE einen eigenen Minimarkt
in der Wohnung, den aber selten jemand anderes benutzen durfte.
Nichtmal die eigene Familie.
Die Waren wurden verwaltet und bewacht wie das Gold in Fort Knox.
Neben Lebensmitteln waren es hauptsächlich Zahnpasta, Toilettenpapier,
Windeln, Deos, Spül- und Waschmittel, Duschgel und Shampoos –
jeweils in Jahres oder Mehrjahresbedarfsmengen.
Bedenklich fand ich dass einige der shopper wohl eher auf Partner
oder Kinder verzichten würden als auf ihre heiligen Vorräte.

Ich fands auf eine Art faszinierend aber dieses bis in die Perversion
übertriebene hat mich -soweit es bei Amerikanern noch möglich ist- geschockt.

Wenn es in Deutschland attraktive Coupons geben würde, würde ich sicherlich
auch versuchen für 0 einzukaufen, aber nur im Rahmen dessen was ich brauche.
Wenn ich Geld kriegen würde weil ich Produkte mitnehme die ich nicht brauche,
würde ich sie hinterher wieder zu Geld machen.
Leider gibt es in Deutschland nur recht unattraktive Coupons.
Ein Geschirrspülmittel von P&G das normal 2 Euro kostet und
auf das man einen 50 Cent Gutschein bekommt ist damit
immer noch doppelt so teuer wie ein No name Produkt.
Auch glaube ich nicht, das der deutsche Discounter sich darauf einlässt
seinen Kunden Geld dafür zu geben, dass sie ein Produkt mitnehmen.
Schade eigentlich, denn bei vielen Produkten wäre das angebracht.

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Ich kann`s nicht lassen

Ich kann es nur sehr schwer bis gar nicht ertragen,
wenn jemand Bücher wegschmeisst.
Okay – es gibt natürlich Bücher die soooo kaputt sind
dass man nicht umhinkommt sie zu entsorgen.
Aber es gibt Trilliarden von Büchern die weggeschmissen werden
weil es schlicht zu mühsam ist einen neuen Besitzer aufzutreiben.
Und bei wenigen Dingen ist der Wertverfall so gross wie bei Büchern.
Für aktuelle Neuauflagen bezahlen nicht wenige Menschen sehr viel Geld.
Einmal gelesen kann man gewisse Bücher noch immer gut verkaufen,
aber schon nach wenigen Monaten kann man andere Bücher ohne Makel
und Fehler als sogenannte Mängelexemplare für billiges Geld kaufen.
Gebrauchte Taschenbücher die nicht gerade Bestseller sind hingegen
sind nahezu unverkäuflich. Im Bestfall bekommt man 50 Cent auf dem Flohmarkt.
Deshalb werden viele Bücher weggeschmissen.
Wenn so ein Karton irgendwo rumsteht oder auf dem Sperrmüll landet
kann ich nicht dran vorbeigehen ohne einige Bücher zu retten.
Selbst Bücher die ich niiiiiiie lesen würde.
Die setze ich dann manchmal auf Ebay und ärgere mich hinterher
sie nicht doch weggeschmissen zu haben, denn sie gehen meistens für einen Euro weg.
Das wäre ja okay – ich bin auch für Kleingeld zu haben 😉
aber gerade von den Leuten beschweren sich manchmal Menschen
dass 20/30 Jahre alte Bücher nicht ladenneu aussehen,
nach Gebrauch oder schlimmer noch nach PAPIER riechen würden.

Und trotzdem rette ich immer wieder Bücher vor der Verbrennung.
Gestern habe ich wieder eine seltsame Mischung gefunden:

buecherjuni2014

Die oberen Bücher sind nahezu 100 Jahre alt und auch wenn sie teils obskuren Inhaltes sind
muss man ihnen doch mit Respekt begegnen. Gerade die Ausgabe von Ben Hur ist
leider in einem armseligen Zustand, aber hat eine wunderbare Haptik.
Da es in Fraktur gedruckt ist werde ich es wohl kaum lesen,
obgleich ich es lesen könnte, aber es ist halt anstrengend.
Hauptsache ich habe es gerettet.

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Manchmal ist Kultur auch anstrengend

Gestern – nun schon vorgestern – also am Freitag wollte ich zu einer Lesung gehen.
Timur Vermes sollte nach Kiel kommen und aus „Er ist wieder da“ lesen.
Zufällig hatte ich das Buch im Mai auf einem Flohmarkt gekauft und alsbald gelesen.
Ich war also recht zeitig vor Ort und besorgte mir eine Karte zum unglaublich
unschlagbarem Preis von 2,- Euro. Und die sollten löblicherweise sogar an Viva Con Aqua gehen.
Dafür musste man allerdings in Kauf nehmen das es noch einen Vortrag
und eine Diskussion geben sollte.
Thema: Von Chaplin zu Moers – Hitler Parodien –
Darf man das und wenn ja -darf man dann drüber lachen?

Als es anfing wurde meine Hoffnung jäh zerstört, dass der Vortrag NACH der Lesung sein könnte.
Selbstverständlich war er vorher. Das Publikum war gemischt, es waren einige ältere Menschen dort,
aber die meisten waren jünger. Auf die Frage, wer das Buch gelesen hat meldete sich
nach meiner Schätzung knapp etwas weniger als die Hälfte.
Der Vortragsredner begann seinen Vortrag mit den Worten: „Ich bin nicht Walter Moers.“
Das sollte wohl ein lustiger Einstieg sein, aber ich denke es hätte eh niemand vermutet
er könne Walter Moers sein, zumal sein Name die ganze Zeit auf der Leinwand eingeblendet war.
Es wurde schnell klar, das ein Grossteil der Anwesenden Studenten aus seinem Fachbereich
an der Uni waren, dem Institut für neue deutsche Literatur und Medien.
Womöglich war es auch nur ein Aufmerksamkeitstest von ihm.

Zu meiner Freude sagte er, er wolle lediglich eine kurze Einführung in das Thema geben.
Wie sehr oft wenn Leute das so ankündigen dauerte es dann doch etwas länger.
Hinter mir sass ein weiblicher Erklärbär, die ihrem Freund den Ablauf des Abends,
die Wohnverhältnisse des Dozenten, den Inhalt des Buches und so ganz nebenbei noch die Welt erklärte. Vor mir sass ein Päärchen das augenscheinlich lieber mit sich alleine wäre
Die Studenten verfielen in diese unangenehme Stimmung
an unpassenden Stellen zu kichern oder zu lachen als wenn es dafür Noten geben würde.
Der Vortrag selber war dann doch nicht gänzlich uninteressant- aber schwer durcheinander,
ich habe sogar eine Lieblingsstelle. Es ging gerade um „Hitler auf Titelbildern“
und neuere deutsche Filme wie „Der Untergang“ und „Schtonk“ – der Dozent wollte wohl
das Publikum darauf hinweisen das die Hitler Tagebücher eben gerade keine Parodie waren
und sagte: „Der Stern hat ja wirklich geglaubt, er hätte die Spiegel-Tagebücher gefunden“.
Ich fands lustig, die Studenten haben es wahrscheinlich nicht gehört –
jedenfalls haben sie da nicht gelacht.
Es kamen noch ein paar lustige Verschwörungstheorien zu Gehör,
Mo Asumangs Film „Die Arier“,  der vor Monaten auf Arte und im ZDF lief wurde fälschlicherweise
als „Arte Interview“ untertitelt, dann war der Vortrag auch irgendwann vorbei und die Lesung fing an.

Timur Vermes hat Kapitel 10 vorgelesen und noch einige Interviews mit den Hauptfiguren,
die so nicht im Buch vorkommen und dann wurde die Bühne schon umgebaut für die Diskussion.
Da ich nicht mit Studierenden diskutieren wollte und zudem dringend auf Klo musste
war es mir eigentlich ganz recht. Manchmal ist Kultur eben auch einfach nur anstrengend.
Immerhin weiss ich jetzt wie der gute Mann sich ausspricht: Vermeeesch.

vermes

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